Die 99%

Bedford-LKW Pakistani-Style: Holzkabine handgeschintzt

Nach einem Tag Sightseeing in Lahore bin ich am letzten Sonnabend in Richtung Quetta aufgebrochen. Zuerst etwa 350 km nach Multan und dann habe ich entschieden, noch die knappen 100 km nach Dera-Ghazi-Khan zu fahren, was auf der anderen Indusseite liegt. Als ich am Ende der Bruecke anhielt, um ein paar Fotos vom Fluss zu machen, kam ein Polizist und sagte, Fotokameras seien hier nicht erlaubt. Und warum ich ueberhaupt hier bin, hier duerfe ich gar nicht sein, das sei alles Sperrgebiet, nur fuer Versorgungsverkehr und Bewohner der Stadt. Und ich moege bitte zum Kommandanten mitkommen.

Dieser sasz an einem Schreibtisch unter freiem Himmel, in Sichtweite der Kontrollstation, in die ich offenbar unbefugt geraten war. Er wollte wissen, wer ich bin und wo ich herkomme und warum ich unbedingt in diese Verbotszone wolle. Ich erklaerte ihm, ich wolle nach Quetta und daher gerne in Dera-Ghazi-Khan uebernachten. Er teilte mir mit, dass dies bedauerlicherweise nur mit einer Ausnahme-Sondergenehmigung moeglich sei, bot mir eine Flasche Wasser an, telefonierte aber vorsichtshalber seinen Vorgesetzten herbei. Als jener eintraf, erklaerte er mir alles noch einmal und telefonierte dann mit seinem Vorgesetzten, um mir, sehr bedauernd, auch diesmal die Durchfahrt zu verweigern. Aber man wuerde mich nun nach Multan zurueckbringen, bis zu einem netten Hotel. Leider fuhren die (oft unzureichend beleuchteten) Eskortenfahrzeuge sehr langsam und machten oft Fahrzeugwechsel, waehrenddessen man sich aber noch tausendmal entschuldigte, alles ueber mich und Deutschland wissen wollte und mir weitere Getraenke verabreichte. Gegen 2200 erreichten wir schlieszlich ein Hotel, wo ich, seit etwa 0900 unterwegs, erfreut zusammenbrechen durfte.

Ich verbrachte einen ganzen Tag in Multan, um mich zu erholen und eine leichte Magenverstimmung auszukurieren. Abends fand sich ein freundlicher Polizist in Zivil im Hotel ein, um mir mitzuteilen, dass es eine Alternativroute nach Quetta gibt, fuer die man keine Genehmigung braucht. War zwar 300 km laenger, aber was soll man machen! Am darauffolgenden Morgen brach ich also nach Sukkur auf, und erreichte die Stadt westlich des Indus nach einer stoerungsfreien Fahrt ueber gut ausgebaute Straszen bei Sonnenuntergang. Dort im Hotel wurde ich abermals von einem Zivilpolizisten kontaktiert, welcher sich ueber meine Reiseplaene informierte und mir am Morgen zur Abreise eine bewaffnete Eskorte bereitstellte, da es von nun an gefaehrlich werden sollte… angeblich. Frueh waren die Jungs auch fast puenktlich, eskortierten mich auf die Ausfallstrasze nach Quetta und wuenschten mir eine gute Reise. Das freute mich sehr, denn ich wollte ja nicht die ganze Zeit 40 fahren. Leider hoerte die gute Strasze bald auf, weil die Flutschaeden von 2010 noch nicht ganz beseitigt sind. Aber zumindest Schotterpiste, wenn auch manchmal schlammig, ist verfuegbar. Das alles geht etwa 60-70 km bis an die Grenze zum Bundesstaat Belutschistan und waere an sich kein Problem, wenn man nicht staendig bewaffnete Eskorten aufgenoetigt bekaeme, die oft zu zweit auf klapprigen Mopeds mit 30 vor mir her zuckelten. Eine ist aus Treibstoffmangel sogar ganz liegen geblieben, aber da ich erst vor kurzem getankt hatte, konnten wir dem Problem mit einer ollen Plastikflasche schnell abhelfen und etwas umfuellen. Leider wollten sich die Jungs nicht fotografieren lassen…war ihnen wohl peinlich…

An jenem Grenzposten (Fotos verboten) jedoch musste ich dann ne Weile warten. Meine Papiere wurden geprueft und jeder der konnte, kramte seine sieben Worte englisch hervor, um sich nach meinem werten Befinden zu erkundigen. Nach etwa einer halben Stunde ging es weiter, der Grund des Wartens war ein dicker weiszer UN-Wagen. Dieser und ich wurden nun mit Geheul und Blaulicht durch die naechste Stadt eskortiert, diesmal von einer Anti-Terror-Polizeieinheit (ATP). Die Stadt war voellig verstopft und das Einsatzhorn beeindruckt hier auch keinen. Aber zufaellig kam hinter uns auch noch ein Konvoi der pakistanischen Armee, deren Soldaten absprangen und voraus liefen, um eine Gasse zu schaffen, sodass wir immerhin mit Schrittgeschwindigkeit vorwaerts kamen! Aus der Stadt raus winkte uns die ATP vorbei und wir fuhren nun im Armeekonvoi mit. Da die sich aber anscheinend nicht fuer uns interessierten, ueberholte erst die UN-Karre und dann auch ich den Konvoi und konnte so unbehelligt einen Groszteil der Strecke bis Sidi mit 90km/h zuruecklegen (schneller fahre ich eh nicht). Als es dann in die Berge ging, gabs noch vereinzelt Moppedeskorten und Kontrollpunkte. An einem wurde ich sogar zum Tee eingeladen! Alle sind irrsinnnig freundlich hier! An der Stadtgrenze von Quetta wurde ich dann wieder von wechselnden Eskorten bis zum Hotel geleitet.

Ich wohne hier im Bloom Star Hotel (feine Zimmer, warmes Wasser, schoene ruhige Innenhoefe und Internet fuer lumpige 1000 PKR die Nacht), was seit 1975 existiert und einen legendaeren Ruf unter Ueberlandreisenden genieszt! Schnitt: mindestens 2 Deutsche pro Woche, drei waren am Vormittag erst weg, ein paar Stunden nach mir kamen zwei Schweizer (Guy+Grillon). Guy ist Anwalt aus Genf, wollte immer schon mal auf dem Landweg mit Motorrad nach Indien, hat aber nie Zeit. Logische Konsequenz: es wird in 12 Tagen durch gezogen! Unter anderem von Teheran bis zur Grenze in einem Stueck innerhalb von 18 Stunden! Grillon faehrt die Strecke mit dem Auto (Renault Kangoo), aber dafuer jaehrlich, weil seine Frau in Indien lebt. So ist er uebern Sommer in der Schweiz und im Winter in Varanassi. Sonst hat er aber keine BMW(1200GS)-Fahrer dabei und laesst sich mehr Zeit.

Heute waren wir zu dritt auf dem Amt, um uns eine Art Meldebescheinigung zu holen, ohne die man nicht aus der Stadt gelassen wird. Da wird man von Buero zu Buero geschleust, jeder unterzeichnet irgendwas und staendig gibts Tee und Salam Aleykum und Haendegeschuettel! Das dauert normalerweise vier bis sechs Stunden, aber dank Guys juristischem Verhandlungsgeschick waren wir schon nach zwei fertig! Bei der irrsinnigen Gastfreundlichkeit haette ichs ja auch noch paar Stunden ausgehalten, aber die zwei wollten weiter.

So verbleibe ich als einziger auslaendischer Gast im Hause (wie sonst auch immer). Gegen Abend war ich auf dem Dach und machte Fotos von der Gebirgsfront und Kindern, die auf den Daechern Drachen steigen lieszen, als es ploetzlich krachte und etwa einen halben Kilometer entfernt Rauch aufstieg. Die Kinder spielten weiter und auch sonst schien alles normal. Zwei weitere (pakistanische) Gaeste kamen nach oben und sagten, es gab einen Bombenanschlag. Ich bestaetigte dies und zeigte in die Richtung. Passiert hier alle paar Tage, vermutlich Separatisten, liesz man mich wissen. Dann gingen sie wieder runter. Als ich auch das Dach verliesz, krachte es nochmal. Immer zweimal, so lernt man es ja auch bei der Einsatzausbildung… Insgesamt vier Verletzte, keine Toten. Nach meinem Kenntnisstand.

Danach wurde ich von Rehman, meinem Zimmernachbarn, zum Tee eingeladen. Er ist Geschaeftsmann aus Karachi und war schon dreimal in Muenchen! Ich noch nie… Den Anschlag von vor ein paar Minuten kommentierte er wie folgt: “99% aller Pakistani sind wahnsinnig nett und gastfreundlich, 1% sind Vollidioten. Eine Schande, dass sich manche Menschen so benehmen.” Dann war das Thema durch und wir redeten ueber Deutschland und das Reisen und viele andere Sachen. Naja, morgen frueh gehts weiter in Richtung iranische Grenze. Und ich muss sagen, ich werde diese liebenswuerdigen Menschen echt vermissen, die immer winken, nach der Familie fragen, Tee anbieten und bei Allah fuer mich beten. Die 99% eben.

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10 Antworten auf Die 99%

  1. der_Hanni sagt:

    Was ist das ein herrlicher Artikel! Danke dafür und weiterhin gute Reise!!!

    • theralf sagt:

      Oh, du hast es sicher schon gemerkt: neusten Erkenntnissen zufolge Handelt es sich bei Grillons Auto um einen Fiat Doblo, und nicht wie im Artikel erwaehnt um einen Reault Kangoo! Der Autor bittet um Entschuldigung!

      Du muesstest dem Autor bei Gelegenheit deine Adresse mailen, damit du auch einmal eine Postkarte erhalten kannst, so als Stammkommentator!

      Gruesze aus Belutschistan!

  2. tim sagt:

    Ach schön, dass dir Pakistan doch gefallen hat!

    Und innerhalb der letzten 2 Tage kam hier erst post aus Indien, und dann aus Nepal and, da haben die Inder die Nepalesen wohl im Effizienztest in die Tasche gesteckt :D Und ein riesen Dank, ich steh doch so auf Postkarten

    Und lass es dir gut gehen im Iran und was auch immer dannach kommt, hier regnet es eh nur, also bleib einfach irgendwo wos schön ist!

  3. seppel sagt:

    mir fehlen grade wieder die worte….deshalb einfach gute fahrt

  4. Micha sagt:

    Siehst Du. Da bestätigt sich wieder jeder Reisebericht. Die Nahostbewohner sind vollends freundliche Menschen. Schön wieder was von dir zu hören. Weiterhin gute Reise.

  5. Robert sagt:

    ja! wie immer ein geschmeidiger mtreißender Artkel lieber Ralf!! Bald ist Jahrestag unserer Begegnung , die das Ashburton Down Syndrom auslöste…. packe gerade ein Weihnachtspaket für die Ashburton Farmer..Dir kann ich ja leider nichts schicken..immer wenn UNSERE Häscher Dich orten, bist Du schon wieder weg, DU FUCHS! Vielen Dank für die Karten!!! Habe mich riesig gefreut!! Weitermachen!!!BITTE!!

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