Nachbetrachtung

Frueh morgens zehn nach fuenf, kurz vor der Autobahnabfahrt SaFo hoere ich ploetzlich ein kreischendes Geräusch. Im Rückspiegel sehe ich, gleich einem Kometen, einen meterlangen Funkenschweif. Milde lächelnd schalte ich den Warnblinker ein, ziehe auf den Standstreifen und lasse mich in Richtung Ausfahrt ausrollen. Ein kurzer Blick unters Auto bestätigt die Vermutung: Der Kat war abgefallen, hängt nur noch am Haltegummi und sorgt für ein cooles Feuerwerk. Also zerschneide ich den Gummi, zerre das zerschundene Blechteil unterm Auto hervor, schmeiße es auf die Rückbank und reiße die letzten 13 der 11826 Kilometer mit jerichotrompetengleichem Röhren ab, bevor der Morgen in den stillen Dörfern graut. Odyssee beendet.

Aber von vorn:

Da uns versichert wurde, der Grenzüebertritt in Armjansk von der Krim auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet sei problemlos möglich, beschlossen wir erst nach einem Ganzen Tag in Sewastopol am Morgen des 18.10. weiter nach Odessa zu fahren. Die Ausreise am Grenzübergang Armjansk ging gut von Statten und nach einigen Kilometern im Niemandsland erreichten wir den ukrainischen Kontrollpunkt. Dort wurden unsere Pässe nicht gestempelt, sondern zu einem Kleintransporter gebracht, aus dem ein Kabel zu einer Telegrafenleitung führte. Nach etwa einer halben Stunde bekamen wir unsere Pässe wieder und wurden höflich und mit ehrlichem Bedauern aufgeklärt, dass wir wieder zurück müssten, denn dies sei kein offizieller Grenzübergang und nur für Ukrainer geöffnet. Auf meinen Hinweis, es handele sich bei unseren Visa um solche mit nur einmaliger Ein- und Ausreise, sagte man uns, die Russen würden uns schon wieder herein lassen, wenn wir die Situation nur erklären.

So mussten wir also mit hängenden Ohren zurück. Selbstveständlich wollten uns die Russen nicht herein lassen, wegen o.g. Problem. Nach einigem Erklären und Gestikulieren sowie meiner Androhung, ich würde meinen Schlafsack direkt vor dem Passabfertigungsfensterchen ausrollen, wurde eine Lösung gefunden: Der Ausreisestempel im Pass wurde ordentlich mit Lineal durchgestrichen und mit der Bemerkung “аннули́рованнo” versehen. Dann waren wir wieder auf russisch kontrolliertem Gebiet. Nur leider ohne Geld, denn unsere Rubel hatten wir siegessicher ausgegeben und Geldautomaten funktionieren momentan auf der Krim nicht. An vielen Tankstellen entlang des Weges versuchten wir, unsere Euros loszuwerden, denn wir mussten ja die Fähre bezahlen. In Simferopol schließlich fanden wir unverhofft ein einsames Wechselstubenbüdchen, welches trotz später Stunde noch besetzt war. An der Fähre angekommen, teilte man uns mit, dass die Fähre nicht fährt, weil zuviel Seegang sei, wir sollen morgen mittag wieder kommen. Also suchten wir uns eine Nahe Unterkunft (mit WiFi!) und planten neu.

Um noch am 22.10. wie geplant in Sarajevo sein zu können, mussten wir ein gnadenloses Pensum absolvieren und dabei noch aufs Tempo drücken, um eventuelle unverschuldete Verzögerungen aufzufangen. Dazu musste der Donbass umfahren und die Grenze zur Ukraine bei Charkow überquert werden. Alles in allem waren über 3000 km in dreieinhalb Tagen zu bewältigen, eine Gleichung mit einigen Unbekannten, aber immernoch einen Versuch wert.

Am nächsten Tag waren wir gegen 1000 am Fährhafen und stellten uns zum Warten an. Die andere Seite war etwa um 1500 erreicht und es konnte los gehen. Nach vielen Stunden Fahrt erreichten wir im Morgengrauen des 20.10. beinahe die Grenze bei Charkow, denn ich wurde von einer Polizeikontrolle rausgewunken. Da der Beamte etwas komisch gewunken hat, bin ich an den linken Fahrbahnrand gefahren, leider über eine doppelte Linie. Daraufhin drohte man mir den Führerschein wegzunehmen, was man aber nach etwa einer halben Stunde Dummstellen meinerseits dann doch bleiben ließ. An der Grenze selbst konnten wir problemlos ausreisen, auch in die Ukraine hinein gab es keine Komplikationen. Vorsichtshalber hat die ukrainische Armee den Grenzposten mit Sandsackbarrieren, Panzersperren und eingegrabenen Kampffahrzeugen gesichert. Als wir schließlich auch Charkow passiert hatten, zogen wir in einem Waldstück unter und schliefen ein paar Stunden.

Weiter ging es mit einer Irrfahrt durch Dnjepropetrowsk. Die Beschilderung in der Zentralukraine ist spärlich und manchmal in ukrainisch und mal in russisch, was für zusätzliche Verwirrung sorgt. Auf der Straße nach Kriwoj Rog riss der Nachschalldämpfer ab. Aber das ist ja kein Probelem. Da er ja eh schon durchgerostet war, ließ ich ihn am Straßenrand zurück. Danach folgte die Straße von Kriwoj Rog nach Nikolajew, die sich bei uns für immer als “Weg der Willensstärke” in die Erinnerung eingebrannt hat. Es gab Schlaglöcher, in die unser Auto locker rein gepasst hätte. Aber das Problem waren die aufgeworfenen Asphaltwellen, von deren Scheitel bist zur Talsohle des Loches der Höhenunterschied 50 cm betragen konnte! Für etwa 120km benötigten wir 4,5 Stunden!

Völlig erschöpft und übermüdet fanden wir um etwa 0300 ein Motel in Odessa. All zu viel Schlaf gönnten wir uns nicht, denn es war ja noch viel Strecke zu machen. Am frühen Nachmittag erreichten wir die Südgrenze der Ukraine. Anscheinend waren die Grenzer dort sehr gelangweilt, denn wir durften das ganze Auto ausräumen. Nach dem eine große Menge russischer Getränke mit Alkohol gefunden wurde, durften wir erst weiter fahren, nachrem wir diese mit 20€ “nachverzollt” hatten. Die nächste Überraschung folgte auf dem Fuß, denn die Grenze nach Rumänien entpuppte sich als Moldawien. Nachdem ich 5€ Eintritt bezahlt hatte, erzählte uns der freundliche Grenzer aber, dass der Übergang nach Rumänien nur zwei km weiter vorne liegt. Dort angekommen wurden wir fast wie alte Freunde begrüßt, der zuständige Beamte entschuldigte sich sogar höflich bei mir, weil er kurz in den Kofferaum schauen musste, denn es sei Vorschrift. So waren wir wieder in der EU. Rumänien wartet mit perfekten Straßen und eindeutiger, sinnvoller Beschilderung auf- Dinge, die man erst richtig zu schätzen weiß, wenn mann es in der Ukraine mal eilig hat…

Wir fuhren noch ein Weilchen und suchten uns bei Craiova einen Wald zum Schlafen. Am Vormittag des 22.10. überquerten wir ohne Vorkommnisse erst die Grenze nach Bulgarien und dann kurz darauf die nach Serbien. Auch durch Serbien führen gute Straßen, sodass wir auch schnell nach Bosnien kamen, wo wir an der Grenze nicht einmal auszusteigen brauchten. Wir begaben uns durch die malerischen Schluchten der Drina und schließlich auf die Passtraße zum Talkessel von Sarajevo. An dessen höchster Stelle begann es heftig zu scheinen, sodass wir für die letzten 20km anderthalb Stunden brauchten. Dennoch gelangten wir noch vor Mitternacht ans Ziel, wo wir einem überraschten Geburtstagskind gratulieren konnten.

Trotzdem gings am nächsten Tag weiter in Richtung Wien, jedoch nicht ohne an der Grenze nach Kroatien nochmal komplett von bosnischen Beamten gefilzt zu werden. In den frühen Morgenstunden erreichten wir Österreichs Hauptstadt, welche wir leider in den späten Abendstunden schon wieder verlassen mussten. Einige Kilometer hinter der tschechischen Grenze hielt uns der tschechische Zoll nochmal an, um uns unseren Kofferauminhalt ein weiteres Mal aus- und wieder einladen zu lassen. Aber wenigstens war man sehr freundlich. Über nahezu menschenleere Straßen ging es über Prag in Richtung Dresden, allerdings nicht ohne nochmals vom Bundesgrenzschutz angehalten zu werden. Aber glücklicherweise blieb uns ein erneutes Ausräumen erspart; Deutschland hatte uns wieder. Nach drei Wochen und 14 durchreisten Ländern.

 

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7 Antworten auf Nachbetrachtung

  1. Banknachbar sagt:

    Das nenne ich mal einen harten Trip!
    Respekt!

  2. der_Hanni sagt:

    Willkommen zurück! Wieder mal eine tolle Story zu einer interessanten Reise! Vielen Dank für den Blick über den Tellerrand! =)

  3. J. sagt:

    Herzlichen Glückwunsch! Wahre Helden sind ja inzwischen selten geworden.
    Nach diesen Abenteuern solltet ihr erst mal Urlaub machen.

    • theralf sagt:

      Ich bin schon dabei und der Lars braucht ja eh keine Freizeit, kein Essen, keinen Schlaf…

      • ЗиедуЦер sagt:

        Das kann ich bestätigen! (und das gilt für beide Kommentare)
        Abgesehen davon wird man glaube ich kein Held nur weil man drei Wochen durch Rußland reist. Auch reicht diese Zeit nicht aus, um das Land richtig kennen zu lernen. Allerdings haben die drei Wochen durchaus genügt, um meine eigene “kleine Welt” ein Stück nach Osten zu rücken.

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